Ist Banksy eine Frau und kommt aus Sachsen?


Seit ein paar Monaten fallen glückliche Sterne vom Nachthimmel über Chemnitz und um Chemnitz herum. Sie landen auf Hausfassaden, Stromkästen und Parkautomaten, auf Brückenpfeilern, Verkehrsschildern und Ampelanlagen. Wie von Zauberhand bleiben sie dort haften und leuchten und lachen auch tagsüber hell. Von Künstlerhand ist die weniger märchenhafte Erklärung.

Jedenfalls sind diese fünfeckigen Streetart-Smileys hier gesprayt und über einen Meter groß, dort geklebt und nur weniger Zentimeter klein. Man kann sie kaum übersehen im Stadtbild. Es müssen inzwischen Hunderte sein. Mal tragen sie eine Augenklappe, mal eine Krankenschwesterhaube, wenn eine Klinik um die Ecke liegt. Es gibt sie in der Variante Oberlippenbart und in Baumarktnähe mit einem Hammer in der Hand. Sie sind ein Hingucker, wo man sonst eher wegschaut. Und ein guter Grund, grundlos zurückzulächeln. Chemnitz ist jetzt nicht grau oder braun, sondern ansteckend gutelaunegelb.

Die Chemnitzer Hobbyastrologen fragen sich natürlich: Ist es Kunst oder Sachbeschädigung? Kann das weg oder darf das bleiben? Nachdem im Februar ein Stern auf einem Bankgebäude in der Zwickauer Straße gesichtet und eine Anzeige erstattet worden war, ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaft in alle bekannten Himmelsrichtungen. „Ein konkreter Tatverdacht gegen eine Person hat sich nicht ergeben“, zitierte die Freie Presse einen Ermittler. Nur in den Weiten des Internets gibt es einen Anfangsverdacht. Eine Stadt sucht ihren Künstler.

Auf Instagram und Facebook, und dort unter #littlehappyyellowstar, werden nicht nur neue Bilder (oft mit Ortsangabe) gepostet: „Habe zwei süße Sternchen entdeckt“, „Hab auch einen gefunden am Radwegrastplatz in Altendorf“, „Auf der Scheffelstraße am Krankenhaus“, „Hinter dem Parkplatz beim Getreidepark“. Es kursieren auch immer wieder neue Hinweise, zuletzt auf Reddit. „Meine Klassenkameradin macht das“, schrieb dort ein anonymer Nutzer. Und die Lokalpresse fragte sogleich: „Ist der Chemnitzer Banksy eine Frau?“ Nur auf die Idee, dass Banksy eine Frau aus Chemnitz sein könnte, ist bislang noch niemand gekommen. Warum eigentlich nicht?

Über die wahre Identität des Streetart-Künstlers existieren doch allenfalls Vermutungen, seit gut zwanzig Jahren schon: geboren Anfang der Siebziger, wahrscheinlich in Bristol, womöglich steckt ein gewisser Robin Gunningham hinter dem Pseudonym. Oder Robert Del Naja, der Sänger von Massive Attack. Der habe oft an Orten Konzerte gespielt, wo auch Banksys Schablonengraffiti auftauchten. Aber was heißt das schon?

Ernst zu nehmende Gegenbeweise für die Banksy-ist-eine-Chemnitzerin-Theorie gibt es also keine bislang. Und Moment mal: Wird in der Doku „Banksy Does New York“ (2014) nicht sogar behauptet, der Künstler sei in Wahrheit eine Künstlerin, die ein Kollektiv leitet?

Einen identitätsklärenden Hinweis liefert leider auch die Wanderausstellung „A Vandal Turned Idol“ nicht. Die zeigt Banksys Originale (wenige) und Replikate (viele) und macht seit ein paar Monaten in Europas Kulturhauptstadt 2025 halt. Das ist bekanntermaßen – was für ein Zufall – Chemnitz. Und was sagt eigentlich Banksy zu all dem Rätselraten? Das hier zum Beispiel: „Sie haben mir niemals zugehört, bis sie nicht wussten, wer ich bin.“ So ist es. Alles andere steht in den Sternen. Am Nachthimmel über Chemnitz und um Chemnitz herum.

In der Kolumne „Ostbesuch“ berichtet Paul Linke alle zwei Wochen aus seinem Zwischenleben in Chemnitz und Umgebung. Sachsen sucks? Von wegen!

Von B nach C, Ostbesuch, 263 Kilometer

Von B nach C, Ostbesuch, 263 KilometerPajović/Amini/Berliner Zeitung





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