Ist Sächsisch das eigentliche Deutsch?


Interview mit dem Dialektologen Prof. Dr. Peter Porsch

Prof. Dr. Peter Porsch
Der gebürtige Wiener, Prof. Dr. Peter Porsch, ist Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Deutsche Dialektologie. Porsch lehrte u.a. von 1990 bis 2005 an der Universität Leipzig als Professor für Dialektologie und Soziolinguistik und hat zahlreiche Publikationen zu diesen Themen veröffentlicht.

MDR GESCHICHTE: Professor Porsch, Sie sind nicht nur Dialektologe und beschäftigen sich von Berufs wegen mit dem Sächsischen. Sie leben auch als Nichtsachse die meiste Zeit Ihres Lebens in Sachsen. Warum ist Ihrer Meinung nach das Sächsische so unbeliebt?

Porsch: Das Sächsische ist ein gut verständliches Schriftdeutsch, komisch ausgesprochen. Man denkt: Wie kann man nur so gut Deutsch können und dann so komisch reden? Außerdem war zu DDR-Zeiten die Elite sächsisch, insbesondere Walter Ulbricht. Das hat auch nicht zur Beliebtheit beigetragen.

Warum wird Bairisch oder der Rheinländer Dialekt als schön empfunden, das Sächsische aber nicht?

Das ist ganz einfach: Weil es nicht verstanden wird, weil diese Dialekte eine ganze Sprache sind. Das Sächsische ist Hoch- oder besser Standarddeutsch, komisch ausgesprochen. Aber jeder versteht die Sachsen und sagt: Wie reden die denn? Trotzdem ist das Sächsische im Fernsehen so gut wie nie untertitelt, weil es jeder versteht.

Ist Sächsisch also das richtigere, das bessere Deutsch?

Da bin ich skeptisch. Es gibt keine „bessere Sprache“. Es gibt nur meine Sprache oder die Sprache der anderen. Meine Sprache ist immer die bessere Sprache, weil ich sie gut beherrsche. Aber der Komparativ, der Vergleich ist hier nicht richtig. Man kann Sprachen nicht vergleichen. Und Sächsisch ist auch eine eigene Sprache, die aber alle, die Deutsch beherrschen, gut verstehen und nicht als eigene Sprache wahrgenommen wird.

Seit 2008 zeichnet die Ilse-Bähnert-Stiftung das „Sächsische Wort des Jahres“ aus. 2024 ist es die „Hudelei“! Was halten Sie davon?

Von Hudelei halte ich nicht viel, denn die Wiener sagen „nur net hudeln“ – das ist für mich also kein sächsisches Wort, sondern nur ein sächsisch ausgesprochenes. Da sollte man doch typischere Wörter finden. 

Ihre Muttersprache ist das Wienerische, aber was ist Ihr sächsisches Lieblingswort?

„Diggschn“ gefällt mir da zum Beispiel viel besser, wobei man nicht genau weiß, ob es von „dickköpfig“ oder von „tückisch“ beleidigt kommt. Ich diggsche auch gerne! Grundsätzlich ist es aber eine gute Idee, diese sächsischen Wörter zu suchen, um die regionale Identität zu stärken.

Wandelt sich Ihrer Wahrnehmung nach die Ablehnung des Sächsischen?

Letztlich glaube ich das nicht. Die ostmitteldeutschen Sprecher selbst sind zwar stolz auf ihren Dialekt, aber sie wissen insgeheim, dass sie es nicht „dürfen“, weil er in der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor belächelt wird. 

Wird Dialekt im Allgemeinen und das Sächsische im Besondern sozial stigmatisiert?

Natürlich, das werden alle Dialekte. Nach der Wende war der unterbrochene unmittelbare Kontakt zu den westdeutschen Sprechern wiederhergestellt. Der Westen stand aber besser da und alles, was aus dem Westen kam, war positiv besetzt, so auch die westlichen Dialekte. Im Osten lebten auch die Verlierer, so wurde auch die Sprache wahrgenommen. Es gab dann aber eine Gegenbewegung der sächsisch Sprechenden. Heute haben wir diese Stigmatisierung meiner Ansicht nach überwunden.

Es heißt, die Dialekte sterben in Zeiten der Globalisierung aus. Sehen Sie das auch so und würden Sie das Sächsische vermissen?

Dialekte verstecken sich hinter Regiolekten. Als ich als Kind das erste Mal aus Wien in Graz war, hat mich der bäuerliche Dialekt, der dort gesprochen wurde, regelrecht erschreckt und ich dachte: wie können die dort so sprechen, obwohl da doch Straßenbahnen fahren. Wenn Sie heute nach Graz kommen, spricht man dort „Ost-Österreichisch“, also angenähertes Hochdeutsch mit Wiener Einschlag. Nur auf dem Bauernmarkt hört man noch den alten Dialekt. So ist die Entwicklung. Regiolekte verdrängen die Dialekte.

(Erklärung Regiolekt: Regiolekte haben eine größere Reichweite und fungieren als Brücke zwischen Dialekten und der Standardsprache, während Dialekte lokal wesentlich begrenzter sind und teilweise sehr stark von der Standardsprache abweichen können.)

Durch die sprachgeschichtliche Besonderheit, dass das Sächsische durch die politischen Entwicklungen in Europa der aufstrebenden Renaissance die alte Hochsprache ist, aber durch neue, deutlich an norddeutsch-preußisch orientierten Aussprachegewohnheiten zurückgefallen blieb, würde ich es vermissen. Das hat keiner der Dialekte, außer vielleicht das Wienerische, das auch einst als allgemeine Hochsprache (als das „Gemeine Deutsch“) galt. Und sowas hebt man auf, wie Meißner Porzellan – so was gibt man nicht auf.

Anmerkung: In der Sprachwissenschaft schreibt man bairisch statt bayrisch.



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Author: admin

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