Michael Kretschmer hat die Christlichdemokraten im Freistaat Sachsen vor einer historischen Niederlage bewahrt. Doch zu welchem Preis? Eine Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht wäre für die Bürgerlichen ein Himmelfahrtskommando.

Jetzt ist er noch guter Dinge: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer kurz nach der Verkündung der ersten Wahlprognose in der Landeshauptstadt Dresden am Sonntag.
Michael Kretschmer hat die CDU in Sachsen vor einer historischen Niederlage bewahrt. Mit einem Abstand von 1,3 Prozentpunkten landete seine Partei vor der AfD. Ein «Grund zum Feiern» sei das, rief der Ministerpräsident am Abend. Die Partystimmung dürfte von kurzer Dauer sein.
Es ist die «Brandmauer» zu der vor Kraft strotzenden AfD, die den 49-Jährigen in die Bredouille bringt. Eigentlich gäbe es in Sachsen, wie auch in Thüringen, eine satte Regierungsmehrheit rechts der Mitte: Die CDU käme zusammen mit der AfD auf rund zwei Drittel aller Sitze im Parlament. Doch weil die CDU ein solches Bündnis kategorisch ausschliesst, bleiben nur linke bis sehr linke Partner übrig.
Das Wagenknecht-Dilemma
Da ist Kretschmers alte Koalition mit der SPD und den Grünen. Beziehungsweise: Da war sie. Die drei Parteien haben eine parlamentarische Mehrheit knapp verfehlt. Die Regierungsbildung wird nun noch komplizierter. Denn eine Mehrheit ohne die AfD hätte nur ein Bündnis aus CDU, SPD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW.
Das BSW ist in Sachsen, wie in Thüringen, aus dem Stand auf dem dritten Platz gelandet und hat damit alle Parteien der im Osten höchst unpopulären Bundesregierung deklassiert. Eine Koalition mit dem BSW wäre rechnerisch stabil, aber das Regieren wäre unberechenbar.
Blamage für Friedrich Merz
Von der gesellschaftspolitisch konservativen, sonst aber sozialistisch ausgerichteten neuen Partei kennen die meisten Deutschen bis jetzt nur die Namensgeberin. Deren Gesicht war auch in Sachsen und Thüringen überall auf den Plakaten zu sehen, obwohl sie selbst gar nicht zur Wahl stand. Ihre nun frisch in die Landtage gewählten Parteifreunde sind fast alle politische Nobodys und Neulinge. Einige haben mit Wagenknecht die Linkspartei verlassen, dazu gehört etwa die sächsische Spitzenkandidatin Sabine Zimmermann. Andere, wie Zimmermanns Co-Spitzenkandidat Jörg Scheibe, sind politische Amateure.
Gewiss, der Wille zur Macht ist bei den Wagenknecht-Leuten vorhanden. Das Chaos ist dennoch programmiert. Das lehrt die Geschichte aller jungen Parteien. Und so schnell wie in diesem Fall hatten politische Novizen kaum je die Chance, in Regierungsverantwortung zu kommen.
Ein christlichdemokratisch-sozialdemokratisch-wagenknechtsozialistisches Trio wäre ausserdem eine Blamage für den CDU-Chef Friedrich Merz. Seine Partei arbeite mit «rechtsextremen und linksextremen Parteien nicht zusammen», hatte er erst vor wenigen Monaten erklärt – und ergänzt, dass für Wagenknecht beides gelte: «Sie ist in einigen Themen rechtsextrem, in anderen wiederum linksextrem.» Nach Protesten ostdeutscher Parteifreunde war Merz dann zurückgerudert. Sein Nein zum BSW gelte nur für den Bund, «präzisierte» er.
Im Fall des Falles dürfte man festhalten, dass die bürgerliche CDU die rechte AfD nach wie vor für das Elend der deutschen Politik hält, eine Zusammenarbeit mit einer Partei, die ihrer Ansicht nach von einer mal linken, mal rechten Extremistin geführt wird, aber kein Problem darstellt. Das verstehe, wer wolle.
Der amtierende und womöglich auch künftige sächsische Ministerpräsident hat die CDU vor der Wahl als «grosse Kraft der Mitte» bezeichnet. Das ist ein Luftschloss. Die Mitte, die Michael Kretschmer und seine Parteifreunde nun beschwören, war in Deutschland lange nicht so schwach wie heute.