Wirtschaftskrise: Wird der Osten wieder plattgemacht?


Die Nachricht traf Penig Mitte Februar hart: Nach fast 500 Jahren soll die ansässige Papierfabrik geschlossen werden. 119 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen damit auf der Straße. „Die Stimmung ist nach wie vor gedrückt“, sagt Bürgermeister André Wolf (CDU). Das traditionsreiche Papierwerk gehöre zur DNA der Stadtgesellschaft. „Ich werde immer wieder darauf angesprochen, ob es eine neue Entwicklung gibt“, berichtet der Bürgermeister, der die Schließung Mitte Februar selbst öffentlich gemacht hatte, nachdem er von der Firma davon erfahren hatte.

Bürgermeister ärgert sich über „Schwebezustand“

Die Osnabrücker Felix Schoeller-Holding, der die Fabrik gehört, habe bisher noch nicht bekanntgegeben, was wann passieren soll. „Wir leben immer noch in einem Schwebezustand“, sagt Wolf. Er hofft, dass sich die Entscheidung noch abmildern lässt. „Vielleicht gibt es ja eine Zukunft als Dienstleister innerhalb der Unternehmensgruppe. Wir wünschen uns da ein Umdenken in Osnabrück. Eine tote Liegenschaft kann ja niemand wollen.“

Es wird hier wieder das Klischee bedient, dass der Osten zugunsten des Westens plattgemacht wird und ich finde wenig Argumente das zu entkräften.


André Wolf
Peniger Bürgermeister

Ärgerlich findet der Bürgermeister auch, dass es erneut den Osten trifft, während es an den Weststandorten des Papierproduzenten weitergeht. „Es wird hier wieder das Klischee bedient, dass der Osten zugunsten des Westens plattgemacht wird und ich finde wenig Argumente das zu entkräften.“ Das Grundübel liege darin, dass nach wie vor die wenigsten Firmen ihren Hauptsitz in Ostdeutschland hätten. „Das ist so, aber man sollte sich nicht damit abfinden. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Strukturen langfristig ändern, aber das geht eben nicht von heute auf morgen.“

VW zieht wichtige Modelle aus Werk in Zwickau ab

Beispiele wie diese finden sich in der aktuellen Wirtschaftskrise einige. Nicht immer wird dabei das Werk im Osten geschlossen, dafür aber der Betrieb spürbar heruntergefahren. Prominentestes Beispiel: Volkswagen. So zieht der Autohersteller im Zwickauer Werk – obwohl es als modernstes Werk des Konzerns gilt – die ID-Modelle und die Cupra-Born-Fertigung nach Wolfsburg und Emden ab. Übrig bleiben noch zwei Audi-Modelle. Manche fürchten, dass das ein Sterben auf Raten ist.

Keine bewusste Entscheidung gegen den Osten

Der Dresdner Wirtschaftswissenschaftler Prof. Joachim Ragnitz vom ifo-Institut glaubt nicht, dass sich die Entscheidungen bewusst gegen den Osten richten. „Es ist eher so, dass wir seit einigen Jahren in Deutschland in der Industrie eine Rezession haben. Und da fallen dann irgendwann Kapazitäten weg.“

In der Not gewinnt die Unternehmens-Zentrale

Unternehmen aus Westdeutschland, die in Ostdeutschland ein Tochterunternehmen hätten, konzentrierten sich dann im Zweifel auf die Zentrale. „So gesehen hat der Osten sicherlich einen Nachteil, aber das Problem ist ein größeres“, sagt Ragnitz und fügt an: „Es gibt ein ungelöstes Transformationsproblem, dass energieintensive Bereiche in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sind.“

Es gibt ein ungelöstes Transformationsproblem, dass energieintensive Bereiche in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sind.


Prof. Joachim Ragnitz
Wirtschaftswissenschaftler

Auch chemische Industrie in Sachsen leidet

Papierfabriken, wie zum Beispiel in Penig, gelten laut Statistischem Bundesamt als besonders engieintensive Branche. Ähnlich ist das bei der chemischen Industrie, die in Sachsen ebenfalls wegen der hohen Strompreise schwächelt. Nach Angaben des Landesverbands Nordost des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) liegt die derzeitige Anlagenauslastung in Ostdeutschland bei nur noch 70 Prozent. Dies sei nicht mehr wirtschaftlich.

Subentionen nicht entscheidend für die Standortwahl

Dass Unternehmen aus Sachsen Richtung Osteuropa abwandern, weil dort mehr EU-Subventionen zu holen sind, glaubt der Forscher nicht. „Ab 2028 werden die Karten neu gemischt und da muss man sehen, ob Sachsen runtergestuft wird“, sagt Ragnitz. In dem Jahr beginnt die neue Förderperiode der EU, die bis 2034 geht.

Der Dresdner Wirtschaftsforscher denkt, dass Subventionen zwar für Firmen ein nettes Zubrot, aber nie entscheidend für die Standortwahl sind. „Wichtiger sind die Infrastruktur, die Anbindung an Forschung und Entwicklung, die Ausstattung mit Arbeitskräften und natürlich Löhne und Steuern“, sagt Ragnitz.



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Author: admin

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